Entrümpelung

Ich bekomme so unglaublich viele E-Mails und Nachrichten, in denen mir Frauen von Ihren Erfahrungen mit Angststörungen, Panikattacken und sogenanntem „Mutti“-Burnout berichten. Und ich frage mich, wieso das scheinbar etwas ist, über das niemand offen spricht. Nein, ich erwarte von keiner der Damen, die mir geschrieben haben, dass sie sich hier oder anderswo offenbaren. Aber es erschrickt mich, wie viele es in der Summe doch sind. Und wie wenig man grundsätzlich darüber weiß. 

Jemand fügte mich jüngst einer Facebook-Gruppe für Eltern mit Angststörungen und Burnout hinzu. Ich kann das nicht lesen. Es ist einfach schrecklich von soviel Leid und Elend zu lesen, wenn man selber nicht rund läuft. 

Ich frage mich ständig, an welchem Punkt diese Überforderung eigentlich angefangen hat? Mit dem Wiedereinstieg in den Job nach dem 3. Kind? Mit dem Afghanistan-Aufenthalt des Mannes? Ich weiß es nicht. Vermutlich war es ein schleichender Prozess. Aber man redet nicht drüber. Man will nicht hören, dass man sich zuviel zugemutet hat. Man will vor allem nicht hören, dass die Brotdosen der Kinder oder opulente Geburtstage schuld daran sind. Denn das waren sie auch ganz sicher nicht. 

Natürlich möchte man sich im Leben am liebsten nur mit den Dingen beschäftigen, die einem Spaß machen. Aber da gibt es diese wirtschaftliche Seite des Lebens, die das eben nicht immer zulässt. Und so geht das auch vielen anderen Menschen. Manche bekommen auf Grund ihres fordernden Jobs ein Burnout. andere durch die Doppelbelastung Familie und Job. Andere auf Grund eines traumatischen Erlebnisses. Die Ursachen sind vielfältig. Und Burnout scheint sowas wie das AD(H)S des Erwachsenen zu sein. Eine Modeerscheinung. Ja, ist denn heutige niemand mehr belastbar? Sowas tut weh, weil man ja immer versucht hat sein bestes zu geben. Weil man immer versucht hat, alles am Laufen zu halten und es allen hübsch zu machen. Ja, da kann man argumentieren, dass es um dieses „hübsch machen“ ja gar nicht ginge. Das wäre nicht wichtig. Aber wer schreibt einem vor, was einem selber wichtig ist? 

Ich habe eine Freundin, bei der ist immer alles tip top, wie aus dem Möbelkatalog. Sie brauch das, um glücklich und zufrieden zu sein. Ich würde das auch gerne haben, schaffe das aber nicht. Vielleicht, weil mir andere Dinge wichtiger sind. Vielleicht, weil ich auch nie gelernt habe, diese Dinge systematisch und zielorientiert anzugehen. Das hat mich lange belastet. Ich konnte nie gut Besuch empfangen, weil ich immer Angst hatte, die würden mit dem Zeigefinger über den Türrahmen wischen. In Wahrheit ist meinen Freunden das herzlich egal, wie es hier aussieht, solange sie von Menschen mit Herz und Seele empfangen werden. Diese Freundin sagte gestern zu mir: „Ich beneide dich darum, auch mal was stehen lassen zu können.“ Das führte mich zu der Erkenntnis, dass wir alle im selben Hamsterrad sitzen, nur hat jeder sein Rädchen selber, aus verschiedenen Komponenten, gebaut.

Ich habe so tolle Freunde. Ich habe unzählige Male „Wie machst du das nur?“ gehört und dachte immer nur: „Was bleibt mir anderes übrig?“ Nun. Mir bliebe zum Beispiel übrig, auch mal zu weinen, weil mir alles zu viel ist. Vor meinen Freunden. Ihnen zu zeigen, dass ich müde und erschöpft bin. Und das selber nicht als Schwäche, sondern als Stärke wahrzunehmen.

Einer der häufigsten Sätze, die ich in meiner Kindheit und Jugend gehört habe, war: „Stell Dich nicht so an!“ Und bei allem was ich tue, habe ich Angst, dass wieder jemand zu mir „Stell Dich nicht so an!“ sagt, wenn  ich jammere oder Schwäche zeige. Also habe ich mir das abgewöhnt. 

Ich bin, und werde sicher auch bleiben, ein von Grund auf positiv denkender Mensch. Ich glaube an Schicksal, an das gute Ende und, dass sich alles irgendwie immer wieder gerade biegt. Ich kämpfe auch mal gegen Windmühlen, wenn ich der Meinung bin, jemandem widerfährt Unrecht. Und habe dafür schon viel Prügel eingesteckt. Ich glaube nicht, dass das Eigenschaften sind, sie man sich abgewöhnen kann oder sollte. Sie machen mich aus. Vielleicht fällt mir dieses „auf sich selber besinnen“ daher so schwer. Ich halte das einfach nicht für den richtigen Weg. Jedenfalls nicht für mich. Wenn man das Leid anderer lindern kann, dann sollte man das tun. Der Mensch ist ein Rudeltier, kein Einzelgänger. 

Eine andere Freundin sagte gestern zu mir: „Ach Pichen, was machen wir nur mit Dir?“ und streichelte mir dabei den Rücken. Das war mehr Sorge und Anteilnahme, als ich in den letzten 12 Monaten zusammen an mich ran gelassen habe. Und es tat ganz tief drinnen unendlich gut. 

Jeder bietet mir an, dass ich mit ihm reden kann, wenn mir danach ist. Aber ich wüsste gar nicht  über was ich reden soll? 

Schreiben. Schreiben geht immer. Und ja, ich bin dafür schon lauthals verlacht worden, aber einer meiner Träume ist es nach wie vor, mit dem Bloggen meinen wirtschaftlichen Anteil zu unserer Familie beisteuern zu können. Genauso wie ich vom Urlaub am Meer träume. Und von einem ganz normalen Familienleben. 

Träume sind wichtig. Sie halten uns in Bewegung. 

Diese ganzen Gedanken, die derzeit auf mich einprasseln wie der Bindfadenregen da draußen ans Fenster, sind unglaublich anstrengend. Es ist ein bisschen, wie eine Wohnung-Entrümpelung.  Alles wird man von A nach B geschoben, aus Ecken abgerückt und muss sich der Frage „Kann das weg oder ist das noch brauchbar?“ stellen. Und „Wo kommt das eigentlich her?

Wenn ich gleich meine Kinder vom Kindergarten abholen kann, dann geht es mir wieder richtig gut. Dann ist die Stille weg und der Alltag läuft wieder in seinem Rhythmus. Ich mag das sehr. Es klang zwar schnulzig, aber es ist wirklich so: die Kinder sind mein Herz und meine Seele. Und ich bin unendlich dankbar, dass sie bei uns sind.

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Pia Drießen, Kind der 80er, Mutter von 3 (Pre)Teens (*2009, *2010, *2012). Head of Content Experience bei SaphirSolution. Bloggt seit 2002 mal lauter und mal leiser. Virtuell unterwegs auf Facebook, bei Twitter und Instagram.
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